Prima T30 Lat-Deu

prima A. Lektion 30

30 T Die Tragödie der Antigone

Der griechische Dichter Sophokles stellt in verschiedenen Tragödien das Schicksal der Königsfamilie von Theben dar: Sie ist durch einen Fluch zum Unheil verdammt. Darunter hat schon König Ödipus fürchterlich gelitten. Aber auch seine Söhne Ete- okles (Eteoclês, Eteoclis) und Polyneikes (Polynîcês, Polynîcis) und die Töchter An- tigone und Ismene können dem Verderben nicht entgehen:

Nach dem Tod des Oedipus kämpften Eteocles und Polynices um die Herrschaft der Stadt. Post Oedipodis mortem Eteocles et Polynices de imperio urbis certaverunt1.
Schließlich verlies Polynices Theben und ging nach Argos. Denique Polynices Thebas reliquit et ad Argos2 iit.
Nachdem dort viele Bundesgenossen gesammelt worden waren, kehrte er mit einem großen Heer nach Theben zurück. Ibi multis sociis collectis ad Thebas magno cum exercitu rediit.
Dieses Heer schlug unter der Führung des Polynices eine Schlacht vor den Toren der Stadt. Qui exercitus Polynice duce ante portas Thebarum proelium commisit.
Eteocles verteidigte die Stadt. Nachdem die Brüder im Kampf getötet worden waren, übernahm ihr Onkel Creon die Herrschaft über die Stadt.Eteocles urbem defendit. Fratribus in proelio occisis Creon avunculus3 imperium in urbe obtinuit.
Antigone und Ismene betreten die Szene: Antigona et Ismena in scaenam4 procedunt:
I.: Was treibst du im Geiste, Schwester? Ich sehe, dass du von Schmerz bewegt durch den Palast (die Häuser) des Oedipus, unseres Vaters, irrst. I: Quid mente agitas, soror? Video te dolore commotam per domos Oedipodis, patris nostri, errare.
A.: Auf Veranlassung Creons ist der Bruder Eteocles in großer Ehre, der Körper aber des Polynices liegt unbestattet. Mit dem Tod wird Creon den bestrafen, der Polynices in ein Grab legt. A: Creonte auctore Eteocles frater magno in honore est, corpus autem Polynicis iacet insepultum5. Morte puniet6 Creon eum, qui Polynicem sepulcro7 condet. –
Nachdem dieses Verbrechen erkannt worden ist, zeige deine Gesinnung! Ich weiß, dass du ehrenhaft bist und den Göttern gehorchst. Quo flagitio cognito mentem tuam ostende! Scio te honestam esse deisque parere.
Die Götter aber befehlen, das Polynices in einem Grab bestattet wird. Dei autem Polynicem sepulcro condi iubent.
I.: Oh arme Schwester! Nachdem Creon solches befohlen hat, was können wir tun? I: O miseram sororem! Creonte talia iubente quid facere possumus8?
A.: Begrabe zusammen mit mir meinen und deinen Bruder in einem Grab. A: Una mecum Polynicem fratrem meum et tuum sepulcro conde!
I.: Obwohl (während) der König dies verbietet, wagst du eine große Freveltat. Hüte dich vor dem Zorn des Creon! I: Rege id prohibente magnum facinus audes. Cave iram Creontis!
Ich habe gehört, dass der Zugang zum Bruder schwierig ist; denn bewaffnete Wächter halten jeden von Polynices fern. Aditum ad fratrem difficilem esse audivi; nam custodes armati a Polynice omnes prohibent.
A.: Aber den Bruder nicht zu beerdigen ist eine Schande. Ich werde das tun, was sowohl den Göttern als auch dem Bruder geschuldet wird. A: Sed fratrem non sepelire9 flagitium est. Id faciam, quod et deis debetur et fratri!
Wir sind Frauen; es gehört sich, den von den Männern festgelegten Gesetzen der Stadt zu gehorchen.. I: Mulieres sumus; legibus urbis a viris constitutis parere oportet.
Wir müssen die Götter anflehen - so werden wir Verzeihung erreichen, wenn wir nun Creon gehorchen.. Nos deos obsecrare debemus – ita veniam impetrabimus, si Creonti nunc paremus.
Ich jedenfalls werde nicht wagen gegen den Willen Creons eine so große Freveltat zustande zu bringen. Equidem Creonte invito tantum facinus committere non audebo.
A.: Gehorche du deiner Gesinnung! Ich werde allein den Bruder in ein Grab legen. A: Tu menti tuae pare! Ego sola fratrem sepulcro condam.

Nachdem der Bruder begraben worden war, ist Antigone von Creon mit dem Tod bestraft worden. Fratre sepulto Antigona a Creonte morte punita est.

1 certâre streiten – 2 ad Argos nach Argos (griechische Stadt) – 3 avunculus Onkel – scaena Bühne – 5 însepultus unbeerdigt – 6 pûnîre bestrafen – 7 sepulcrum Grab – 8 possumus wir können - 9 sepelîre (PPP sepultum) beerdigen


30 Z Ödipus erkennt sein Schicksal

Ödipus war der Sohn des Lajos und der Jokaste, des Königspaares von Theben. Er sollte als Kind in der Wildnis ausgesetzt werden, weil seine Eltern eine fürchterliche Prophezeiung bekommen hatten: Er werde seinen Vater töten und die eigene Mutter heiraten. Aber ein mitleidiger Hirte hatte ihm das Leben gerettet, sodass Ödipus überlebte und heranwuchs. Eines Tages machte sich Ödipus, der nicht wusste, wer er wirklich war, auf die Reise nach Theben. Auf dem Weg traf er auf seinen Vater Lajos, den er nicht erkannte. Die beiden gerieten in einen heftigen Streit, in dessen Verlauf Ödipus seinen Vater tötete.

Nachdem der Vater getötet worden war, kam Oedipus nach Theben und führte die Frau des Königs in die Ehe unwissend, dass diese seine Mutter ist. nachdem die Mutter geheiratete worden war, übernahm er die Königsherrschafft. Patre interfecto Oedipus Thebas venit et uxorem regis in matrimonium duxit1 , ignorans eam matrem suam esse. Matre in matrimonium ducta1 regnum obtinuit.
Nachdem diese Verbrechen geschehen waren, ist die ganze Stadt von den Göttern bestraft worden His sceleribus commissis tota urbs a deis punita est2 .
Nachdem viele Bürger durch die Pest getötet worden waren, befragte Oedius das Orakel üer den Grund der Pest. Multis civibus peste3 interfectis Oedipus oraculum de causa pestis consuluit.
Das Orakel befahl, dass der Mensch, der Laius getötet hatte, bestraft wird. Oraculum iussit hominem, qui Laium necaverat, puniri2.
Aus diesem Grund zögerte Oedipus von der Sorge um die Bürger bewegt nicht, eine gerichtliche Untersuchung über den Tod des Königs einzuleiten. Quare Oedipus curâ civium commotus non dubitavit quaestionem de morte regis instituere4.
er befragte viele Menschen. Multos homines interrogavit.
Endlich erkannte er sein Schicksal: Er verstand, dass er selbst den Vater getötet und seine Mutter in die Ehe geführt hatte. Tandem fatum suum cognovit: Intellexit se ipsum patrem necavisse et matrem in matrimonium duxisse.
Weil (nachdem) er sein Verbrechen erkannt hatte, stach sich Oedipus selbst die Augen aus und verließ Theben. Scelere suo cognito Oedipus oculos sibi ipse effodit5 Thebasque reliquit.

1 in mâtrimônium dûcere heiraten – 2 pûnîre bestrafen – 3 pestis Pest – 4 quaestiônem înstituere eine gerichtliche Untersuchung einleiten – 5 effodere (Perf. effôdî) ausstechen