Das Buch Deuteronomium erzählt von den letzten Lebenstagen des Mose und schließt den Pentateuch ab. Vor seinem Tod verkündet Mose noch einmal das Gesetz vom Sinai. Daher trägt dieses Buch in der griechischen und in der lateinischen Bibel den Namen Deuteronomium (Zweites Gesetz; vgl. 17,18). Die Juden nennen dieses Buch Dewarim (Worte) nach den Anfangsworten Elle haddebarim (Das sind die Worte).
Das Buch Deuteronomium enthält zum Teil sehr alte Texte. Doch in seine jetzige Gestalt wuchs es erst in der ausgehenden Königszeit, im Exil und nach dem Exil hinein. Indem Israel seine späteren Ordnungen und Einsichten bis in die Zeit des Mose zurückverlegt, bekennt es, dass es sich dabei um Gottes Weisung und Setzung handelt, an der man für immer festhalten soll.
Die letzte Wurzel des deuteronomischen Gesetzes ist wahrscheinlich ein Bundestext aus der Richterzeit, der noch in Ex 34,10-26 erhalten ist. Er spiegelt eine Ordnung, in der Jahwe, der Gott Israels, selbst als Herrscher des Volkes galt. Nachdem Israel einen König erhalten hatte, konnte man zunächst mit solchen Vorstellungen nichts anfangen. Die Tradition wurde aber weitergepflegt und in der frühen Königszeit hatte das Bundesgesetz die Gestalt angenommen, die in Ex 20,22 - 23,33, dem sog. Bundesbuch, erhalten ist. Im ausgehenden 8. Jahrhundert scheint man in Juda bei religiösen Reformversuchen, erstmalig wohl unter König Hiskija, auf diese alten Traditionen zurückgegriffen zu haben. In den neu redigierten Text kamen die Gesetze über die Zentralisierung der Opfer, Abgaben und Wallfahrtsfeste an einem einzigen Heiligtum (Jerusalem; vgl. 2 Kön 18,22); irgendwann wurden Gesetze eingefügt, die am alten Text der Zehn Gebote orientiert waren; damals entstand auch die feierliche »deuteronomische Sprache«, die wohl für den öffentlichen Vortrag bei Bundesschluss oder Bundeserneuerung gedacht war. Im Jahr 622 v. Chr. verpflichtete König Joschija von Jerusalem sein Reich auf ein im Tempel gefundenes Gesetz (2 Kön 22f). Dieses dürfte eine Fassung des deuteronomischen Gesetzes gewesen sein, die mit Dtn 6,4 einsetzte und große Teile der jetzigen Kapitel 6 - 28 enthielt. Dieses Gesetz, das im Lauf der Zeit noch viele Erweiterungen erfuhr, war von da an bis zum Untergang Jerusalems (586 v. Chr.), im Exil und auch nach der Heimkehr die Lebensgrundlage des jüdischen Volkes, bis es durch das »Heiligkeitsgesetz« (Lev 19 - 26) ergänzt und dann zusammen mit vielen anderen gesetzlichen Materialien in der Gesetzgebung des Pentateuch zusammengefasst wurde.
Noch zu Lebzeiten Joschijas wurde ein Geschichtswerk verfasst, das von Mose bis zu diesem König reichte. An seinen Anfang wurde das deuteronomische Gesetz gestellt, gewissermaßen als göttlicher Maßstab für die Geschichte des Volkes. Damals wurde es als Moserede stilisiert und mit anderen Reden des Mose umgeben, die zum Teil Rückblicke auf die Wüstenzeit Israels und Ausblicke auf die Geschichte Israels enthalten. Dieses »Deuteronomistische Geschichtswerk« wurde in und nach dem Babylonischen Exil noch mehrfach überarbeitet. Es umfasst jetzt die Bücher Dtn bis 2 Kön. Bei der Herstellung des Pentateuch in nachexilischer Zeit wurde das Buch Deuteronomium von diesem Geschichtswerk abgetrennt und durch einige weitere Texte, vor allem aus der »Priesterschrift«, mit den ersten vier Büchern des Pentateuch verklammert (vgl. die Einleitung zu den Fünf Büchern des Mose).
Das Buch stellt sich jetzt als eine Sammlung von Mosereden dar, die durch ein Überschriftensystem in vier Teile gegliedert ist: 1,1 - 4,43 »Rede« des Mose (Rückblick und Mahnung); 4,44 - 28,68 »Weisung« des Mose (Verkündigung des Gesetzes); 28,69 - 32,52 die »Worte, mit denen der Bund geschlossen wurde« (letzte Verfügungen des Mose); 33,1-29 »Segen« des Mose (mit angehängtem Bericht über seinen Tod und sein Begräbnis 34,1-12). Das Moselied (32,1-43) und der Mosesegen (33,2-29) sind alte Dichtungen.
Man kann das Deuteronomium als Zeugnis der ersten großen theologischen Synthese in Israel betrachten. Hier werden zum ersten Mal unter den Leitgedanken der Verpflichtung Israels auf den ausschließlichen Dienst für seinen Gott Jahwe und des Verhältnisses Gott-Volk nach Art eines Lehnsverhältnisses zwischen einem Herrn und denen, die sich ihm durch einen Vertrag anvertraut haben (»Bund«), die verschiedensten Traditionen zu einer Einheit zusammengefasst. Für uns sind viele Institutionen, die sich in den Gesetzen spiegeln, Vergangenheit. Doch zeigt dieses alle Lebensbereiche in das Gottesverhältnis hineinziehende Buch, dass Gott sich ein Volk schaffen will, als Zeichen unter den Völkern und als Zeuge seiner Herrschaft.
Die Rede des Mose: Rückblick und Mahnung: 1,1 - 4,43
Ort und Zeit: 1,1-5
1 Das sind die Worte, die Mose vor ganz Israel gesprochen hat. Er sprach sie jenseits des Jordan, in der Wüste, in der Araba, östlich von Suf, zwischen Paran und Tofel, Laban, Hazerot und Di-Sahab.
1
2 Elf Tage sind es vom Horeb auf dem Weg zum Gebirge Seïr bis nach Kadesch-Barnea.
3 Es war im vierzigsten Jahr, im elften Monat, am ersten Tag des Monats. Mose sagte den Israeliten genau das, was ihm der Herr für sie aufgetragen hatte.
4 Nachdem er Sihon, den König der Amoriter, der in Heschbon seinen Sitz hatte, und Og, den König des Baschan, der in Aschtarot seinen Sitz hatte, bei Edreï geschlagen hatte,
2
5 begann Mose jenseits des Jordan im Land Moab, diese Weisung aufzuschreiben. Er sagte:
Der Aufbruch vom Horeb: 1,6-18
6 Der Herr, unser Gott, hat am Horeb zu uns gesagt: Ihr habt euch lange genug an diesem Berg aufgehalten.
34
7 Nun wendet euch dem Bergland der Amoriter zu, brecht auf und zieht hinauf! Zieht aus gegen alle seine Bewohner in der Araba, auf dem Gebirge, in der Schefela, im Negeb und an der Meeresküste! Zieht in das Land der Kanaaniter und in das Gebiet des Libanon, bis an den großen Strom, den Eufrat!
56
8 Hiermit liefere ich euch das Land aus. Zieht hinein und nehmt es in Besitz, das Land, von dem ihr wisst: Der Herr hat euren Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen, es ihnen und später ihren Nachkommen zu geben.
7
9 Damals habe ich zu euch gesagt: Ich kann euch nicht allein tragen.
89
10 Der Herr, euer Gott, hat euch zahlreich gemacht. Ja, ihr seid heute schon so zahlreich wie die Sterne am Himmel.
10
11 Und der Herr, der Gott eurer Väter, lasse eure Zahl auf das Tausendfache wachsen und segne euch, wie er es euch versprochen hat.
12 Wie soll ich allein euch tragen: eure Bürde, eure Last, eure Rechtshändel?
13 Schlagt für jeden eurer Stämme weise, gebildete und bewährte Männer vor, damit ich sie als eure Führer einsetze.
11
14 Ihr habt mir geantwortet: Das ist ein guter Vorschlag. Führ ihn aus!
15 Also habe ich die Führer eurer Stämme, weise und bewährte Männer, genommen und sie zu euren Führern ernannt: als Anführer für je tausend, Anführer für je hundert, Anführer für je fünfzig, Anführer für je zehn, und als Listenführer, für jeden eurer Stämme.
12
16 Damals habe ich eure Richter verpflichtet: Lasst jeden Streit zwischen euren Brüdern vor euch kommen. Entscheidet gerecht, sei es der Streit eines Mannes mit einem Bruder oder mit einem Fremden.
1314
17 Kennt vor Gericht kein Ansehen der Person! Klein wie Groß hört an! Fürchtet euch nicht vor angesehenen Leuten; denn das Gericht hat mit Gott zu tun. Und ist euch eine Sache zu schwierig, legt sie mir vor; dann werde ich sie anhören.
1516
18 Damals habe ich euch alle Vorschriften gegeben, nach denen ihr handeln sollt.
17
Israels Unglaube in Kadesch-Barnea: 1,19-46
19 Dann brachen wir auf, verließen den Horeb und wanderten durch diese ganze große und Furcht erregende Wüste - ihr habt sie erlebt - auf dem Weg zum Amoriterbergland, wie es uns der Herr, unser Gott, befohlen hatte. Wir kamen bis Kadesch-Barnea.
1819
20 Dort sagte ich zu euch: Nun seid ihr am Bergland der Amoriter angekommen, das der Herr, unser Gott, uns gibt.
21 Sieh, der Herr, dein Gott, hat dir das Land ausgeliefert. Zieh hinauf und nimm es in Besitz, wie der Herr, der Gott deiner Väter, es dir befohlen hat. Fürchte dich nicht und hab keine Angst!
22 Da seid ihr zu mir gekommen, ihr alle, und habt gesagt: Wir wollen einige Männer vorausschicken. Sie sollen uns das Land auskundschaften und uns Bericht erstatten über den Weg, den wir hinaufziehen, und über die Städte, auf die wir treffen werden.
23 Der Vorschlag erschien mir gut. Ich wählte unter euch zwölf Männer aus, für jeden Stamm einen.
24 Sie wendeten sich dem Bergland zu, zogen hinauf, gelangten bis zum Traubental und erkundeten es.
20
25 Sie pflückten einige von den Früchten des Landes, brachten sie zu uns herab und erstatteten uns Bericht. Sie sagten: Das Land, das der Herr, unser Gott, uns gibt, ist prächtig.
26 Doch ihr habt euch geweigert hinaufzuziehen. Ihr habt euch dem Befehl des Herrn, eures Gottes, widersetzt
27 und habt in euren Zelten gemurrt. Ihr habt gesagt: Weil er uns hasst, hat der Herr uns aus Ägypten geführt. Er will uns in die Gewalt der Amoriter geben, um uns zu vernichten.
28 Wohin geraten wir, wenn wir hinaufziehen? Unsere Brüder haben uns den Mut genommen, als sie berichteten: Ein Volk, größer und zahlreicher als wir, Städte, groß, mit himmelhohen Mauern. Sogar Anakiter haben wir dort gesehen.
2122
29 Da habe ich zu euch gesagt: Ihr dürft nicht vor ihnen zurückweichen und dürft euch nicht vor ihnen fürchten.
23
30 Der Herr, euer Gott, der euch vorangeht, wird für euch kämpfen, genau so, wie er vor euren Augen in Ägypten auf eurer Seite gekämpft hat.
31 Das Gleiche tat er in der Wüste, du hast es selbst erlebt. Da hat der Herr, dein Gott, dich auf dem ganzen Weg, den ihr gewandert seid, getragen, wie ein Vater seinen Sohn trägt, bis ihr an diesen Ort kamt.
24
32 Trotzdem habt ihr nicht an den Herrn, euren Gott, geglaubt,
33 der euch auf dem Weg vorangegangen war, um euch die Stelle für das Lager zu suchen. Bei Nacht ging er im Feuer voran, um euch den Weg zu zeigen, auf dem ihr gehen solltet, bei Tag in der Wolke.
25
34 Der Herr hörte euer lautes Murren, wurde unwillig und schwor:
35 Kein einziger von diesen Männern, von dieser verdorbenen Generation, soll das prächtige Land sehen, von dem ihr wisst: Ich habe geschworen, es euren Vätern zu geben.
36 Nur Kaleb, der Sohn Jefunnes, wird es sehen. Ihm und seinen Söhnen werde ich das Land geben, das er betreten hat. Denn er ist dem Herrn ganz und gar nachgefolgt.
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37 Auch mir grollte der Herr euretwegen und sagte: Auch du sollst nicht in das Land hineinkommen.
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38 Josua, der Sohn Nuns, dein Gehilfe, wird hineinkommen. Verleih ihm Macht: Er soll das Land an Israel als Erbbesitz verteilen.
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39 Und eure Kleinen, von denen ihr sagt: Zur Beute werden sie!, und eure Kinder, die heute noch nichts von Gut und Böse wissen, sie werden in das Land hineinkommen. Ihnen gebe ich es und sie nehmen es dann auch in Besitz.
40 Ihr aber, wendet euch zur Wüste, brecht auf und nehmt den Weg zum Schilfmeer!
41 Ihr habt mir darauf erwidert: Wir haben vor dem Herrn gesündigt. Doch jetzt wollen wir hinaufziehen und kämpfen, genau so, wie es uns der Herr, unser Gott, befohlen hat. Und jeder legte die Waffen an und gürtete sich, um ins Bergland zu ziehen.
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42 Doch der Herr sprach zu mir: Sag ihnen: Ihr sollt nicht hinaufziehen und nicht kämpfen; denn ich bin nicht in eurer Mitte. Ich will nicht, dass eure Feinde euch niederstoßen.
43 Ich habe euch zugeredet, doch ihr habt nicht gehört. Ihr habt euch dem Befehl des Herrn widersetzt. In eurer Vermessenheit seid ihr ins Bergland gezogen.
44 Da rückten die Amoriter, die dort im Bergland wohnen, gegen euch aus. Sie verfolgten euch wie ein Bienenschwarm und versprengten euch in Seïr bis nach Horma hin.
45 Als ihr zurückkamt, weintet ihr vor dem Herrn. Doch er hat auf eure Klagen nicht gehört und hatte kein Ohr mehr für euch.
46 Dann hieltet ihr euch lange in Kadesch auf - die ganze Zeit, die ihr dort geblieben seid.
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