Die Jüdin Ester und ihr Onkel Mordechai auf der einen, König Artaxerxes und Haman auf der anderen Seite sind die Hauptpersonen des Buches, in dem es um die Abwendung einer drohenden Judenverfolgung im Perserreich geht. Das Buch hat einen geschichtlichen Hintergrund, weil es schon in alter Zeit Judenverfolgungen gab. Es erzählt, wie Ester, die Pflegetochter Mordechais, anstelle der verstoßenen Waschti von Artaxerxes zur Königin erhoben wird. Mordechai hat durch die Aufdeckung einer Verschwörung dem König das Leben gerettet (Kap. 1 und 2). Haman, der zweite Mann im Reich, hasst aus Missgunst gegen Mordechai die Juden und erwirkt einen königlichen Erlass zu ihrer Ausrottung; sie wird durch das Los (pûr) auf den 13. Adar (FebruarMärz) festgesetzt (Kap. 3). Auf Veranlassung Mordechais geht Ester unter Lebensgefahr zum König, erlangt sein Wohlwollen und erreicht den Sturz Hamans (Kap. 4 - 7). Mordechai tritt an Hamans Stelle, Ester erhält Hamans Besitz und erwirkt gegen den ersten Erlass des Königs einen zweiten, der den Juden erlaubt, sich ihrer Feinde zu erwehren (Kap. 8). Das geschieht am 13. Adar im Perserreich und am 14. Adar in der Hauptstadt Susa, worauf der 14. Adar für die Juden in den Provinzen und der 15. für die in Susa lebenden Juden zum Festtag erklärt wird (Purimfest, abgeleitet von pûr); Mordechai und Ester rufen in Briefen zur Feier dieses Festes auf (Kap. 9). Ein Bericht über die Taten des Königs und über die Amtsführung Mordechais schließen das Buch ab (Kap. 10).
Der Verfasser ist über die Zustände am persischen Hof und in Susa gut informiert, verfährt aber recht frei und ungenau mit geschichtlichen Tatsachen, was sich besonders daran zeigt, dass er den Perserkönig Artaxerxes unmittelbar auf den Babylonier Nebukadnezzar folgen lässt (2,6). Die novellenartige Erzählung ist mit märchenhaften Zügen ausgeschmückt. Das Buch, dessen Abfassung vermutlich nach der Perserzeit, etwa um 300 v. Chr., anzusetzen ist, erklärt die Entstehung des jüdischen Purimfestes.
Das Buch Ester steht im dritten Teil der hebräischen Bibel unter den »Fünf Festrollen« (vgl. die Einleitung zu Rut). Seine Aufnahme in die Bibel fand es erst nach längeren Diskussionen unter den Schriftgelehrten. Das hängt damit zusammen, dass das Buch recht profan anmutet, wie auch das Purimfest ein weltliches Fest ist. Gott wird im hebräischen Esterbuch nicht erwähnt. Dem suchte die griechische Fassung abzuhelfen, indem sie außer anderen Erweiterungen die Gebete Mordechais und Esters (nach 4,17), den Traum Mordechais (vor 1,1) und seine Deutung (nach 10,3) einfügte. Hier wird ausdrücklich von Gott gesprochen. Diese Erweiterungen, die auch den judenfeindlichen Erlass (nach 3,13), eine Schilderung der Audienz Esters (in 5,1 und 2) und den Gegenerlass des Königs (nach 8,12) bringen, stehen in der griechischen Bibel an der jeweils passenden Stelle. In der lateinischen Bibel sind sie gesammelt als Anhang an den Schluss gestellt. Stil, Sprachcharakter und Denkweise zeigen, dass die Zusätze von Anfang an griechisch geschrieben waren.
Das spannend geschriebene Buch bringt, auch wenn es in der hebräischen Fassung Gott nicht nennt, den Glauben an Gott als Retter und Befreier zum Ausdruck; dazu genügt dem gläubigen Leser bereits eine Andeutung (4,14; 6,13). Das Beispiel Esters und Mordechais zeigt auch, was der Einzelne im Vertrauen auf Gott zum Besten seines Volkes zu tun vermag.
Die folgende Übersetzung hält sich in der Textanordnung an die griechische Bibel und zählt in den deuterokanonischen Zusätzen die Verse nach Buchstaben.
Mordechai und die Verschwörung gegen König Artaxerxes: 1,1a-r
Der Traum Mordechais: 1,1a-l G = 11,2-12 Vg
1a Im zweiten Jahr der Regierung des Großkönigs Artaxerxes, am ersten Tag des Monats Nisan, hatte Mordechai, der Sohn Jaïrs, des Sohnes Schimis, des Sohnes des Kisch, aus dem Stamm Benjamin, einen Traum.
1
1b Der Jude Mordechai wohnte in der Stadt Susa; er war ein angesehener Mann, der am Hof des Königs diente.
2
1c Er gehörte zu denen, die der babylonische König Nebukadnezzar mit Jojachin, dem König von Juda, aus Jerusalem verschleppt hatte.
3
1d Er hatte folgenden Traum: Es gab Geschrei und Lärm, Donner und Erdbeben und ein Tumult entstand auf der Erde.
45
1e Plötzlich kamen zwei große Drachen, beide bereit zu kämpfen. Sie brüllten laut
1f und durch ihr Brüllen wurden alle Völker zum Kampf aufgereizt, sodass sie gegen das Volk der Gerechten Krieg führten.
1g Es war ein Tag des Dunkels und der Finsternis; Bedrängnis und Not, Unheil und großer Tumult waren auf der Erde.
1h Das ganze Volk der Gerechten geriet in Bestürzung. Sie fürchteten Unheil und rechneten mit ihrem Untergang. Da schrien sie zu Gott.
1i Auf ihr Rufen hin wurde aus einer kleinen Quelle ein großer Strom mit viel Wasser.
1k Licht und Sonne schienen wieder; die Niedrigen wurden erhöht und sie vernichteten die Angesehenen.
6
1l Als Mordechai diesen Traum gehabt hatte, erwachte er. Den ganzen Tag überlegte er, was Gott wohl beschlossen habe, und versuchte, auf jede nur mögliche Weise den Traum zu verstehen.
Die Aufdeckung der Verschwörung: 1,1m-r G = 12,1-6 Vg
1m Mordechai schlief im Palast in der Nähe der zwei Hofbeamten Gabata und Teresch, die den Palast bewachten.
78
1n Dabei hörte er, was sie miteinander überlegten; er versuchte, über ihre Pläne Genaueres zu erfahren, und entdeckte, dass sie einen Anschlag gegen König Artaxerxes vorbereiteten. Er zeigte sie beim König an
1o und der König verhörte die beiden Beamten. Sie gestanden und wurden hingerichtet.
1p Zur Erinnerung ließ der König diese Begebenheit aufzeichnen; auch Mordechai machte Aufzeichnungen darüber.
9
1q Und der König beauftragte Mordechai, im Palast zu dienen, und belohnte ihn für seine Tat mit reichen Geschenken.
10
1r Aber der Bugäer Haman, der Sohn Hammedatas, ein angesehener Mann beim König, suchte wegen der beiden Hofbeamten des Königs Unheil über Mordechai und sein Volk zu bringen.
1112
Die Erhebung Esters zur Königin: 1,1 - 2,23
Das Mahl im Königspalast: 1,1-9
1 Es war zur Zeit des Artaxerxes, jenes Artaxerxes, der von Indien bis Kusch über hundertsiebenundzwanzig Provinzen herrschte.
2 Drei Jahre, nachdem König Artaxerxes in der Burg Susa den Thron seines Reiches bestiegen hatte,
3 gab er ein Festmahl für alle seine Fürsten und Beamten. Die Obersten des Heeres von Persien und Medien, die Vornehmen und die Statthalter der Provinzen waren erschienen
13
4 und er stellte viele Tage lang seinen ganzen Reichtum und seine königliche Pracht, seine Herrlichkeit und seinen ungeheueren Prunk zur Schau, hundertachtzig Tage lang.
5 Am Ende dieser Tage gab der König allen, die in der Burg Susa waren, vom Größten bis zum Geringsten, sieben Tage lang im Hofgarten des Palastes ein Festmahl.
6 Weißes Leinen, violetter Purpurstoff und andere feine Gewebe waren mit weißen und roten Schnüren in silbernen Ringen an Alabastersäulen aufgehängt. Auf dem Mosaikboden aus Alabaster, weißem und buntem Marmor und Perlmuttsteinen standen goldene und silberne Ruhelager.
7 Man trank aus goldenen Gefäßen, von denen keines den andern gleich war. Großzügig ließ der König seinen Wein ausschenken.
8 Bei dem Gelage sollte keinerlei Zwang herrschen. Denn der König hatte seinen Palastbeamten befohlen: Jeder kann tun, was ihm beliebt.
9 Auch Königin Waschti gab ein Festmahl für die Frauen, die im Palast des Königs Artaxerxes lebten.
Die Verstoßung der Königin Waschti: 1,10-22
10 Als König Artaxerxes am siebten Tag vom Wein angeheitert war, befahl er Mehuman, Biseta, Harbona, Bigta, Abagta, Setar und Karkas, den sieben Hofbeamten, die ihn persönlich bedienten,
11 die Königin Waschti im königlichen Diadem vor ihn zu bringen, damit das Volk und die Fürsten ihre Schönheit bewunderten; denn sie war sehr schön.
12 Aber die Königin Waschti weigerte sich, dem Befehl des Königs, den die Hofbeamten überbracht hatten, zu folgen und zu kommen. Da wurde der König erbost und es packte ihn großer Zorn.
13 Er besprach sich mit den Weisen, die sich in der Geschichte auskennen; denn er pflegte seine Angelegenheiten vor den Kreis der Gesetzes- und Rechtskundigen zu bringen,
14
14 die zu ihm Zutritt hatten, nämlich Karschena, Schetar, Admata, Tarschisch, Meres, Marsena, Memuchan, die sieben Fürsten Persiens und Mediens. Sie hatten freien Zugang zum König und nahmen den ersten Rang im Königreich ein.
15 Er fragte: Was soll man nach dem Gesetz mit der Königin Waschti tun, nachdem sie dem Befehl des Königs Artaxerxes, den ihr die Hofbeamten überbracht haben, nicht gefolgt ist?
16 Da sagte Memuchan zum König und zu den Fürsten: Nicht nur gegen den König, sondern auch gegen alle Fürsten und alle Völker, die in all den Provinzen des Königs Artaxerxes leben, hat sich Königin Waschti verfehlt.
17 Denn das Verhalten der Königin wird allen Frauen bekannt werden, und sie werden die Achtung vor ihren Ehemännern verlieren und sagen: König Artaxerxes befahl der Königin Waschti, vor ihm zu erscheinen; aber sie kam nicht.
18 Von heute an werden alle Fürstinnen Persiens und Mediens, die vom Verhalten der Königin hören, dies allen Fürsten des Königs vorhalten und es gibt viel Ärger und Verdruss.
19 Wenn es dem König recht ist, möge ein unwiderruflicher königlicher Erlass ergehen, der in den Gesetzen der Perser und Meder aufgezeichnet wird: Waschti darf dem König Artaxerxes nicht mehr unter die Augen treten. Der König aber verleihe den Rang der Königin einer anderen, die würdiger ist als sie.
20 Wenn die Anordnung, die der König erlässt, in seinem ganzen großen Reich bekannt wird, dann werden alle Frauen ihren Ehemännern, den vornehmsten wie den geringsten, die gebührende Achtung erweisen.
21 Der Vorschlag gefiel dem König und den Fürsten und der König handelte nach Memuchans Worten.
22 Er sandte Schreiben an alle königlichen Provinzen, an jede Provinz in ihrer eigenen Schrift und an jedes Volk in seiner Sprache, damit alle Männer Herr in ihrem Haus blieben [redend in der Sprache seines Volkes].
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