Das Buch Haggai enthält in seinen zwei Kapiteln fünf prophetische Reden, die schon in der Form von der Verkündigung der vorexilischen Propheten abweichen. Sie beziehen die Zuhörer und ihre Äußerungen stärker in die Prophetenrede mit ein und verbinden mit den Ankündigungen in breiterem Maß Diskussionsworte und Mahnungen. Auch sind die Reden Haggais genau datiert: Sie wurden den Angaben nach (1,1; 2,1.10.20) in der zweiten Hälfte des Jahres 520 v. Chr. in Jerusalem gehalten. Ihr einziges Thema ist der Wiederaufbau des Tempels. Weil man nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil (ab 538 v. Chr.) nur für das eigene Haus, aber nicht für das in Trümmern liegende Haus Gottes sorgte, so der Prophet, herrscht Dürre und Hungersnot. Ein neuer Tempel, von reinen Händen erbaut (2,10-14), wird, auch wenn er den alten an äußerem Glanz nicht erreicht, Segen bringen und zugleich Unterpfand für die kommende messianische Zeit sein. Haggai rechnet damit, dass Serubbabel, der Nachkomme Davids, sie einleitet (2,20-23).
Über den Propheten ist nichts weiter bekannt, als dass er noch bis zur Einweihung des neuen Tempels (um 515 v. Chr.) gewirkt hat (vgl. Esra 6,14f). Die den Wiederaufbau auslösenden Reden sind offenbar von seinem Jüngerkreis aufgezeichnet und genau datiert worden. Die überarbeitende Hand eines Redaktors ist noch in 1,3.5.13 und vielleicht in 2,4-6 zu erkennen. Die vielfach vorgenommene Umstellung von 2,15-19 hinter 1,15a ist nicht genügend gerechtfertigt. Das unreine Volk von 2,14 bezieht sich nicht in erster Linie auf die Samariter, die am Tempel mitbauen wollten; Haggai wendet sich hier vielmehr gegen alle kultische Unreinheit und hat dabei vor allem Einwohner Jerusalems und Judas vor Augen. Den Tempel, dessen Wiedererrichtung Haggai mit ins Werk setzte und den er in seinem Wort mit messianischem Glanz ausstattete, hat Jesus das »Haus seines Vaters« genannt (Joh 2,16).
Der Aufruf zum Tempelbau: 1,1-11
1 Im zweiten Jahr des Königs Darius erging am ersten Tag des sechsten Monats das Wort des Herrn durch den Propheten Haggai an den Statthalter von Juda, Serubbabel, den Sohn Schealtiëls, und an den Hohenpriester Jeschua, den Sohn des Jozadak:
12
2 So spricht der Herr der Heere: Dieses Volk sagt: Noch ist die Zeit nicht gekommen, das Haus des Herrn aufzubauen.
3 Da erging das Wort des Herrn durch den Propheten Haggai:
4 Ist etwa die Zeit gekommen, dass ihr in euren getäfelten Häusern wohnt, während dieses Haus in Trümmern liegt?
3
5 Nun aber spricht der Herr der Heere: Überlegt doch, wie es euch geht.
6 Ihr sät viel und erntet wenig; ihr esst und werdet nicht satt; ihr trinkt, aber zum Betrinken reicht es euch nicht; ihr zieht Kleider an, aber sie halten nicht warm und wer etwas verdient, verdient es für einen löcherigen Beutel.
4
7 So spricht der Herr der Heere: Überlegt also, wie es euch geht.
8 Geht ins Gebirge, schafft Holz herbei und baut den Tempel wieder auf! Das würde mir gefallen und mich ehren, spricht der Herr.
9 Ihr habt viel erhofft und doch nur wenig geerntet; und wenn ihr es einbrachtet, blies ich es weg. Warum wohl? - Spruch des Herrn der Heere. Weil mein Haus in Trümmern liegt, während jeder von euch für sein eigenes Haus rennt.
10 Deshalb hält der Himmel über euch den Tau zurück, und die Erde hält ihren Ertrag zurück.
5
11 Ich rief die Dürre über das Land und über die Berge, über das Getreide, über den Wein und das Öl, über alles, was der Boden hervorbringt, über Mensch und Vieh und über alle Arbeit eurer Hände.
Der Neuanfang: 1,12-15
12 Serubbabel, der Sohn Schealtiëls, und der Hohepriester Jeschua, der Sohn des Jozadak, und alle, die vom Volk noch übrig waren, hörten auf die Stimme des Herrn, ihres Gottes, und auf die Worte des Propheten Haggai; denn der Herr, ihr Gott, hatte ihn gesandt und das Volk fürchtete sich vor dem Herrn.
13 Darum verkündete Haggai, der Bote des Herrn, dem Volk im Auftrag des Herrn: Ich bin bei euch - Spruch des Herrn.
14 Und der Herr weckte den Geist des Statthalters von Juda, Serubbabel, des Sohnes Schealtiëls, und den Geist des Hohenpriesters Jeschua, des Sohnes des Jozadak, und den Geist all derer, die vom Volk noch übrig waren, sodass sie kamen und die Arbeit am Tempel ihres Gottes, des Herrn der Heere, aufnahmen;
6
15 das war am vierundzwanzigsten Tag des sechsten Monats im zweiten Jahr des Königs Darius.