Das Buch Judit schildert am Beispiel der Bedrohung Israels durch die Macht eines Königs Nebukadnezzar die Gefährdung des Gottesvolkes durch das entartete und gottfeindliche Heidentum aller Zeiten (Kap. 1 - 3). An der durch den Druck der heidnischen Weltmacht hervorgerufenen Glaubenskrise bei den Einwohnern von Betulia (Kap. 4 - 7) und ihrer Überwindung durch die fromme Witwe Judit (Kap. 8 - 16) wird jedoch deutlich, wie sich das Gottesvolk verhalten muss, wenn es in der Bedrängnis die Hilfe Gottes erfahren will. Vorbedingung für das rettende Eingreifen Gottes ist die Umkehr Israels zu seinem göttlichen Herrn und das Vertrauen auf die im göttlichen Heilsplan beschlossene Offenbarung seiner universalen Königsherrschaft. Judit, die als gesetzestreue und gottergebene Frau diese Vorbedingung erfüllt und zur Befreiung Betulias mutig ihr Leben einsetzt, erfährt beispielhaft für ihr Volk die rettende Hilfe Gottes.
Das Buch will nicht von einem bestimmten geschichtlichen Ereignis berichten, sondern zieht gleichsam die Summe aus den Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen heidnischen Widersachern. Man kann deshalb die literarische Art des Buches als Lehrschrift im Gewand einer Geschichtserzählung bezeichnen. Dem Verfasser geht es nicht darum, den wirklichen Verlauf der Geschichte nachzuzeichnen, sondern in freier Darstellung die Mächte und Kräfte sichtbar zu machen, die den Verlauf der Geschichte bestimmen.
Die Bedeutung des Buches besteht darin, dass sowohl die entartete heidnische Weltmacht als eine übergeschichtliche Wirklichkeit wie auch die Glaubenshaltung des bedrängten Gottesvolkes in Anfechtung und Bewährung deutlich vor Augen gestellt werden. Das Hauptgewicht liegt dabei auf der Darstellung der rettenden Hilfe Gottes, der seine universale Königsherrschaft nicht erst am Ende der Zeiten, sondern schon vorher durch das Gericht über seine Feinde und die Feinde seines Volkes offenbart.
Das Buch ist in griechischer Sprache überliefert und wahrscheinlich an der Wende vom 2. zum 1. Jahrhundert v. Chr. in Palästina verfasst worden.
Die Bedrohung: 1,1 - 3,10
Der Krieg zwischen Nebukadnezzar und Arphaxad: 1,1-6
1 Es war im zwölften Jahr des Nebukadnezzar, der in der großen Stadt Ninive als König der Assyrer regierte. Zur gleichen Zeit regierte damals in Ekbatana Arphaxad als König der Meder.
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2 Arphaxad hatte aus behauenen Steinen von drei Ellen Breite und sechs Ellen Länge rings um Ekbatana Mauern errichten lassen, die siebzig Ellen hoch und fünfzig Ellen breit waren.
3 Die Türme der Mauern hatte er über den Stadttoren hundert Ellen hoch aufgeführt; ihre Grundfläche war sechzig Ellen breit.
4 Die Stadttore selber hatte er siebzig Ellen hoch und vierzig Ellen breit machen lassen, damit die Abteilungen seiner Helden und die Regimenter seiner Fußtruppen genügend Raum zum Ausrücken hatten.
5 Zu jener Zeit führte König Nebukadnezzar Krieg gegen König Arphaxad in der großen Ebene, das heißt in der Ebene im Gebiet von Regu.
6 Arphaxad schlossen sich alle Bewohner des Berglandes an sowie alle, die am Eufrat und Tigris, am Hydaspes und im Flachland des Elamiterkönigs Arjoch wohnten; es waren viele Völker, die zum Aufgebot der Söhne Chelëuds zusammenströmten.
Der vergebliche Hilferuf an die Nachbarvölker: 1,7-12
7 Der Assyrerkönig Nebukadnezzar schickte Boten zu allen Bewohnern Persiens und zu allen, die ihre Wohnsitze im Westen hatten, nämlich zu den Bewohnern von Zilizien und von Damaskus, zu allen Bewohnern des Libanon, des Antilibanon und der Küstengebiete,
8 zu den Völkerschaften am Karmel und in Gilead, zu den Bewohnern des oberen Galiläa und der großen Ebene Jesreel,
9 zu allen, die in Samaria und in seinen Städten und jenseits des Jordan wohnten bis nach Jerusalem, Batane, Chelus, Kadesch und zum Grenzbach Ägyptens, zu den Bewohnern von Tachpanhes und Ramesse und den Bewohnern des ganzen Landes Goschen,
10 ja, über Zoan und Memfis hinaus zu allen Bewohnern Ägyptens bis zu den Grenzen Äthiopiens.
11 Doch alle Bewohner der ganzen Erde missachteten den Befehl des Assyrerkönigs Nebukadnezzar und leisteten ihm keine Heeresfolge, denn sie hatten keine Angst vor ihm; er war in ihren Augen nicht mehr als ein gewöhnlicher Mensch. Darum beschimpften sie seine Boten und ließen sie mit leeren Händen wieder abziehen.
12 Da entbrannte Nebukadnezzars Zorn über all diese Länder und er schwor bei seinem Thron und seinem Reich, an dem ganzen Gebiet von Zilizien, Damaskus und Syrien Rache zu nehmen und alle Bewohner Moabs, die Ammoniter, ganz Judäa und alle Bewohner Ägyptens bis zum Gebiet der beiden Meere mit seinem Schwert auszurotten.
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Der Sieg über Arphaxad: 1,13-16
13 Im siebzehnten Jahr seiner Regierung griff er König Arphaxad mit seinem Heer an und konnte den Kampf für sich entscheiden; das gesamte Heer des Arphaxad, seine ganze Reiterei und all seine Wagen jagte er in die Flucht.
14 Er eroberte seine Städte und drang bis nach Ekbatana vor; er besetzte die Türme der Stadt, gab ihre Häuser der Plünderung preis und machte so ihre Pracht zuschanden.
15 Arphaxad nahm er im Bergland von Regu gefangen, durchbohrte ihn mit seinen Speeren und setzte seiner Macht für immer ein Ende.
16 Darauf kehrte er mit seinem ganzen Gefolge, einer fast unübersehbaren Menge von Soldaten, nach Ninive zurück. Im Hochgefühl seines Erfolges feierte er dort mit dem Heer ein Freudenfest, das hundertzwanzig Tage lang dauerte.