Obd

Dieser kürzeste Text des Zwölfprophetenbuches, bestehend aus nur 21 Versen, knapp mit »Vision Obadjas« betitelt, handelt in VV. 1-15 vom Gericht über Edom, ein südlich vom Toten Meer zu beiden Seiten der Araba-Senke wohnendes Volk, das die Patriarchenerzählungen mit Esau, dem Bruder Jakobs, in Verbindung bringen (Gen 36). In V. 15 wird der Gerichtstag über Edom ausgeweitet zum »Tag des Herrn«, der die Völker am Berg Zion scheitern lässt. Nach VV. 17-21 übt Israel Vergeltung an Edom, erobert sein Gebiet und nimmt die frühere Region der Nordstämme bis nach Phönizien hinein in Besitz.

Der Text, wie er uns vorliegt, gibt zur häufig geäußerten Vermutung Anlass, dass die Verse 15ab.16-21 eine spätere Erweiterung des Grundbestands von VV. 1-15 sind, der seinerseits mehrfach wörtlich mit Jer 49,7-22 übereinstimmt. In der Tat muss zwischen Obd 1-15 und Jer 49,7-22 ein Abhängigkeitsverhältnis (zumindest über eine gemeinsame Vorlage) bestehen, wobei der Jeremiatext - vielleicht Ausgestaltung eines Edom-Wortes Jeremias durch einen Redaktor - wohl als der zeitlich spätere anzusehen ist. Die Anklage gegen Edom hat die Teilnahme der Edomiter an der Eroberung Jerusalems (586 v. Chr.) und ihr Einrücken in südjudäisches Gebiet zur Voraussetzung. Dabei wird Edom zum Typus der Feinde Israels (vgl. Ez 25,12f; 35,1-15; Mal 1,2f). Das gibt die Basis für den zweiten Teil mit seiner nationalapokalyptischen Einfärbung ab, der wohl erst aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. stammt. Die Verkündigung des uns sonst unbekannten Obadja bewegt sich auf der Linie der Heilsprophetie, die die Vergewaltigung Israels durch andere Völker unter das göttliche Gericht stellt.

Überschrift: 1a

1 Vision Obadjas

Das Gericht über Edom: 1b-15

Als ein Bote zu den Völkern gesandt wurde mit dem Ruf: Auf zum Kampf gegen Edom!, da haben wir vom Herrn eine Kunde gehört. So spricht Gott, der Herr, zu Edom:

2 Siehe, ich mache dich klein unter den Völkern, /
 
du wirst tief verachtet sein. 1

3 Dein vermessener Sinn hat dich betört; /
 
du wohnst in Felsenklüften, du sitzt auf dem hohen Berg /
 
und denkst: Wer stürzt mich hinab?

4 Erhebst du dich auch wie der Adler /
 
und baust dein Nest zwischen den Sternen, ich stürze dich von dort hinab /
 
- Spruch des Herrn.

5 Wenn in der Nacht Diebe oder Räuber bei dir einbrechen, /
 
ja, dann bist du verloren. Stehlen sie nicht, was sie wollen? /
 
Und wenn zu dir Winzer kommen, /
 
lassen sie eine Nachlese übrig? 2

6 Wie wird man Esau durchsuchen /
 
und seine Verstecke durchstöbern! 3

7 Man treibt dich fort an die Grenzen; /
 
alle deine Bundesgenossen betrügen dich, /
 
deine Freunde überwältigen dich. Einst aßen sie dein Brot, /
 
jetzt legen sie dir heimlich eine Schlinge. 4

8 Ja, an jenem Tag - Spruch des Herrn - /
 
vernichte ich die Weisen in Edom /
 
und die Klugen im Bergland von Esau. 5

9 Da packt deine Helden der Schrecken, Teman; /
 
da werden alle vernichtet im Bergland von Esau. Wegen des Mordens, / 6

10 wegen der Gewalttat an Jakob, deinem Bruder, bedeckt dich die Schande, /
 
wirst du ausgerottet für immer. 7

11 Als die Fremden sein Heer gefangen nahmen, /
 
als die Feinde seine Tore besetzten /
 
und das Los warfen über Jerusalem, da standest du dabei, /
 
du wurdest wie einer von ihnen. 8

12 Sei nicht schadenfroh am Tag deines Bruders, /
 
am Tag seines Unheils! Freu dich nicht über Judas Söhne /
 
am Tag ihres Untergangs! Reiß deinen Mund nicht so auf /
 
am Tag der Not!

13 Dring nicht ein in das Tor meines Volkes /
 
am Tag seines Unglücks! Sei nicht auch du schadenfroh über sein Unheil /
 
am Tag seines Unglücks! Streck nicht die Hand aus nach seinem Gut /
 
am Tag seines Unglücks!

14 Stell dich nicht an der Wegkreuzung auf, /
 
um die Fliehenden niederzumachen. Liefere die Flüchtlinge nicht aus /
 
am Tag der Not!

15 Denn er ist nahe, der Tag des Herrn, /
 
für alle Völker. Was du getan hast, das tut man dir an; /
 
dein Tun fällt zurück auf dich selbst.

Das Gericht über die anderen Völker: 16

16 Ja, wie ihr getrunken habt auf meinem heiligen Berg, /
 
so müssen alle Völker jetzt unaufhörlich trinken: Sie trinken und taumeln, /
 
sie werden, als seien sie niemals gewesen. 9

Die Rettung Israels: 17-21

17 Auf dem Berg Zion aber gibt es Rettung, /
 
er wird ein Heiligtum sein und das Haus Jakob nimmt die in Besitz, /
 
die es besetzten. 10

18 Dann wird das Haus Jakob zu Feuer /
 
und das Haus Josef zur Flamme. Das Haus Esau wird zum Stroh, /
 
das vom Brand erfasst und verzehrt wird. Und vom Haus Esau wird keiner entkommen. /
 
Denn der Herr hat gesprochen.

19 Den Negeb nehmen sie in Besitz, /
 
das Bergland von Esau, /
 
die Schefela und das Land der Philister. Sie nehmen Efraims Flur in Besitz /
 
und die Fluren von Samarien, Benjamin und Gilead.

20 Die Verbannten von Halach, Söhne Israels, /
 
nehmen das Land der Kanaaniter in Besitz bis nach Sarepta; die Verbannten Jerusalems, die in Sefarad sind, /
 
besetzen die Städte des Negeb.

21 Befreier ziehen auf den Berg Zion, /
 
um Gericht zu halten über das Bergland von Esau. /
 
Und der Herr wird herrschen als König. 11

1 ℘ (1b-4) Jer 49,14-16
2 ℘ Jer 49,9
3 ℘ Jer 49,10
4 ℘ Ps 41,10
5 ℘ Jer 49,7
6 ℘ Jer 49,22
7 ℘ Joël 4,19; Am 1,11f
8 ℘ Ps 137,7
9 ℘ Klgl 4,21
10 ℘ Joël 3,5
11 ℘ Mi 4,7; Ps 22,29