Am 1

Die neun Kapitel dieses Buches lassen einen klaren Aufbau erkennen. Die beiden ersten Kapitel stellen einen Zyklus von Gerichtsreden über die Völker und Israel dar, dann folgen in Kap. 3 - 6 die konkreten Anklagen und Strafansagen des Propheten gegen führende Kreise des Nordreichs. In Kap. 7 - 9 treffen wir, nur unterbrochen durch den Bericht, in dem von Amos in der dritten Person erzählt wird (7,10-17), auf einen Zyklus von fünf Visionen. Den Abschluss bildet die Heilsverheißung von 9,11-15, die die Wiederaufrichtung der »zerfallenen Hütte Davids« in Aussicht stellt; ob sie auf Amos selbst zurückgeht, ist in der Forschung umstritten und wird häufig verneint. Die Lobpreisungen in 4,13; 5,8f; 9,5f sind sicher erst später eingefügt worden, wahrscheinlich auch der Juda-Spruch in 2,4f.

Amos war von Haus aus ein Viehzüchter und Maulbeerfeigenpflanzer (1,1; 7,14) aus Tekoa, südlich von Betlehem. Er wurde durch göttliche Berufung gegen Ende der Regierungszeit des politisch und wirtschaftlich überaus erfolgreichen Königs Jerobeam II. nach 760 v. Chr. als Prophet ins Nordreich Israel gesandt (3,3-8; 7,15), wo er für kurze Zeit bis zu seiner Ausweisung am Reichsheiligtum von Bet-El wirkte. Die Hauptanklage dieses ältesten Schriftpropheten richtet sich gegen die des Gottesvolkes unwürdigen Zustände im Staat, in der Verwaltung, im Gerichtswesen und in der Wirtschaft. Weil die oberen Schichten die Menschen niederer Herkunft und ungesicherter sozialer Lage zu bloßen Objekten ihres Erwerbs-, Macht- und Genusstriebs herabwürdigen und so das »Gottesrecht« brechen, muss Amos das Todesurteil Gottes für das Reich Israel verkünden. Eine auf den Kult beschränkte Verehrung Gottes wird von Amos verworfen (5,21-26). Jahwe ist nach ihm so sehr ein »Gott für den Menschen«, dass selbst die Völkerwelt wegen Unmenschlichkeit und Zertretung der fundamentalen Menschenrechte seinem Strafgericht verfällt (1,3 - 2,3). Amos kündigt einen »Tag des Herrn« an, der »Finsternis bringen wird und nicht Licht« (5,18-20). Höchstens ein »Rest« wird gerettet werden (5,15).

Im Neuen Testament erfährt die Botschaft des Amos ein Echo vor allem in der Rede des Stephanus in Apg 7,42f (= Am 5,25-27). Das Vermächtnis des Amos bleibt ein fundamentales Anliegen auch für das Gottesvolk des Neuen Bundes. Das mitmenschliche Ethos gehört zum Wesen gelebter Offenbarungsreligion.

Überschrift: 1,1

1 Die Worte, die Amos, ein Schafzüchter aus Tekoa, in Visionen über Israel gehört hat, in der Zeit, als Usija König von Juda und Jerobeam, der Sohn des Joasch, König von Israel waren, zwei Jahre vor dem Erdbeben.

Das Gericht über die Völker: 1,2 - 2,16

Über die Nachbarvölker: 1,2 - 2,3

2 Er sprach: Der Herr brüllt vom Zion her, /
 
aus Jerusalem lässt er seine Stimme erschallen. Da welken die Auen der Hirten /
 
und der Gipfel des Karmel verdorrt.

3 So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die Damaskus beging, /
 
wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie Gilead mit eisernen Dreschschlitten zermalmten, / 1

4 darum schicke ich Feuer gegen Hasaëls Haus; /
 
es frisst Ben-Hadads Paläste. 2

5 Ich zerbreche die Riegel von Damaskus, /
 
ich vernichte den Herrscher von Bikat-Awen /
 
und den Zepterträger von Bet-Eden; das Volk von Aram muss in die Verbannung nach Kir, /
 
spricht der Herr. 34

6 So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die Gaza beging, /
 
wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie ganze Gebiete entvölkerten, /
 
um die Verschleppten an Edom auszuliefern, 5

7 darum schicke ich Feuer in Gazas Mauern; /
 
es frisst seine Paläste.

8 Ich vernichte den Herrscher von Aschdod /
 
und den Zepterträger von Aschkelon. Dann wende ich meine Hand gegen Ekron /
 
und der Rest der Philister wird verschwinden, /
 
spricht der Herr.

9 So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die Tyrus beging, /
 
wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie Verschleppte scharenweise an Edom auslieferten /
 
und nicht mehr an den Bund mit ihren Brüdern dachten, 6

10 darum schicke ich Feuer in die Mauern von Tyrus; /
 
es frisst seine Paläste.

11 So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die Edom beging, /
 
wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil Edom seinen Bruder mit dem Schwert verfolgte /
 
und jedes Mitleid unterdrückte, weil es unversöhnlich festhielt an seinem Zorn /
 
und nie abließ von seinem Groll, 7

12 schicke ich Feuer gegen Teman; /
 
es frisst Bozras Paläste.

13 So spricht der Herr: Wegen der drei Verbrechen, die die Ammoniter begingen, /
 
wegen der vier nehme ich es nicht zurück: Weil sie in Gilead die schwangeren Frauen aufschlitzten, /
 
als sie ihr Gebiet erweitern wollten, 8

14 darum lege ich Feuer an die Mauern von Rabba; /
 
es frisst seine Paläste beim Kriegsgeschrei am Tag der Schlacht, /
 
beim Getöse am Tag des Sturms.

15 Ihr König muss in die Verbannung, /
 
er und alle seine Großen, /
 
spricht der Herr.

1 ℘ (3-5) Jes 17,1-3; Jer 49,23-27
2 ℘ 2 Kön 10,32
3 ℘ 2 Kön 16,9
4 Herrscher: G: Einwohner.
5 ℘ 2 Chr 21,16f; Zef 2,4-7
6 ℘ (9-10) Jes 23; Ez 26 - 28
7 ℘ (11-12) Jer 49,7-22; Ez 35
8 ℘ 2 Kön 15,16; (13-15) Jer 49,1-6